Sascha Annisius bei einem Einsatz im Polarmeer

Dolmetschen zwischen Eisbergen und Pinguinen

d-interp engagiert sich in der Nachwuchsarbeit. Im Rahmen des Nachwuchsprogramms des VKD bieten wir unseren Mentees Unterstützung beim Einstieg in den Beruf, dem Kennenlernen des Markts und Tipps zu den Dos und Don'ts. Das Ganze ist aber keine Einbahnstraße. Auch wir lernen die erstaunlichsten Dinge von unseren jungen Kolleginnen und Kollegen. Zum Beispiel von Sascha Annisius, der als Dolmetscher für Hurtigruten schon einige durchaus ungewöhnliche Einsätze hinter sich hat...


Dolmetschen zwischen Eisbergen und Pinguinen

Ein Interview mit Sascha Annisius

d-interp: Weshalb hast du den Beruf des Dolmetschers gewählt?

Sascha Annisius: Ganz klassisch wollte ich nach dem Abi irgendetwas mit Sprachen machen. Nachdem ich aus Planlosigkeit und um irgendetwas zu haben eine Ausbildung zum Internationalen Managementassistenten absolviert und dabei auch Spanisch und Französisch gelernt hatte, brachte mich eine Dozentin, die nur nebenberuflich dozierte und hauptberuflich als Dolmetscherin arbeitete, auf den Gedanken, dass ich doch auch in diese Richtung gehen könnte. Nach meinen ersten Versuchen an der Uni war ich gefesselt und fasziniert, speziell vom Simultandolmetschen, und wollte das auch unbedingt können!

Du arbeitest als Dolmetscher bei Hurtigruten auf Schiffsreisen in die Antarktis und Arktis. Was macht man da so im ewigen Eis?

Hurtigruten stellt an sich den Anspruch, Expeditionskreuzfahrten mit einem gewissen Bildungscharakter anzubieten. Das heißt, es gibt an Bord Präsentationen, die zumeist auf Englisch gehalten werden, und diese dolmetsche ich für die vielen deutschen Gäste simultan. Grundsätzlich bin ich dabei Mitglied im Expeditionsteam, das für die Gästebetreuung und das Unterhaltungsprogramm zuständig ist. Jedes Mitglied des Teams hat eine Spezialisierung (bspw. Meeresbiologie, Geologie, Dolmetschen, Kayakfahren), übernimmt aber auch alle möglichen anderen anstehenden Aufgaben, wenn Hilfe benötigt wird und es an Land geht.

In Regionen wie der Arktis und der Antarktis gibt es keine Häfen, also fahren wir von unserem Schiff mit unseren Expeditionsbooten an Land, bereiten eine Anlandestelle gemäß der Vorgaben der Organisationen für nachhaltigen Tourismus vor: dazu gehört sicherzustellen, dass Artefakte, wie alte Hütten, nicht beschädigt und lokale Tierbestände nicht gestört werden und einen sicheren Pfad für die Gäste abzustecken. An Land ist es unsere Aufgabe, Tiere (z.B. Pinguine) und Gäste (vor z.B. Eisbären oder Pelzrobben) zu schützen und den Gästen Wissen zu Tierwelt und Region zu vermitteln. Das kann dann auch bedeuten, dass wir gerne einmal einen ganzen Tag in der Kälte verbringen, entweder an Land oder in speziellen Watanzügen direkt im Wasser, um die Boote festzuhalten.

Welche Themen dolmetschst du an Bord und wie kannst du dich darauf vorbereiten?

Die Themen sind so vielfältig wie die Regionen, die man bereist. Viel dreht sich um die lokale Flora und Fauna, Geschichte, Politik, Geologie & Glaziologie, Poesie, aber auch persönliche Geschichten meiner Kolleg:innen im Expeditionsteam werden gedolmetscht. Die thematische Vorbereitung erfolgt dann zumeist in Zusammenarbeit mit den Vortragenden. Die enge Zusammenarbeit im Teamverbund ermöglicht es uns auch schon einmal, die Vorträge vorab gemeinsam auf der Suche nach Fachterminologie durchzugehen. Ansonsten wären die z.T. recht langen Vorträge von durchschnittlich 40 Minuten auch kaum neben dem sonstigen Alltag an Bord allein zu bewältigen.

Hast du neben Pinguinen noch weitere Leidenschaften?

Das aufregende Leben an Bord und die stete Emsigkeit der Pinguine stehen etwas im Kontrast zu meinem entspannten Gemüt zu Hause. Ich genieße es sehr, einfach ein gutes Buch zu lesen, einen guten Film oder eine Serie zu gucken, in dem Garten, den meine Frau und ich uns zugelegt haben, etwas anzubauen und zu kochen. Ich höre so gut wie immer Musik und verlasse das Haus fast nie ohne Kopfhörer, versuche mich aber auch immer mal wieder gerne an neuen Sportarten und freue mich schon darauf, wieder an eine Kletterwand zu können, sobald die Hallen wieder öffnen dürfen.

Was erhoffst du dir vom Nachwuchsprogramm des VKD?

Ein wenig Anleitung in der Welt der Freiberuflichkeit als Konferenzdolmetscher. Nach Ende meines Studiums führte mich mein Weg direkt auf die Schiffe von Hurtigruten und noch fehlt mir der Überblick über alle Aspekte des professionellen Lebens von freiberuflichen Konferenzdolmetscher:innen. Daher hoffe ich auf einen regen Austausch im Netzwerk des VKDs und speziell auch im NWP, bei dem mich bisher vor allem beeindruckt, mit welcher Offenheit und Bereitwilligkeit über alle möglichen Themen gesprochen wird und dabei auch eigene Fehler nicht ausgeklammert werden. Das NWP läuft noch nicht sehr lange, aber ich konnte bereits enorm viele Kontakte knüpfen und freue auf die Zukunft im Verband.

Wie hat sich dein beruflicher Alltag durch Corona verändert?

Am offensichtlichsten ist, dass die Schiffe gerade nicht fahren und ich somit relativ kurzfristig an einem Plan B arbeiten musste. Das bedeutet für mich aktuell, dass es nicht nur darum geht, an den eigenen Dolmetschfähigkeiten zu arbeiten, sondern sich auch mit den technischen Gegebenheiten auseinanderzusetzen, um erfolgreich mit RSI zu arbeiten. Außerdem übersetze ich auch wieder mehr.

Wie wird sich deiner Meinung nach der Beruf Konferenzdolmetschen verändern? Hat er angesichts der Digitalisierung und KI noch eine Chance?

Das Thema der Digitalisierung wird den Markt sicherlich auch nach einem hoffentlich baldigen Ende der Pandemie weiter begleiten. Ich kann mir vorstellen, dass einige Auftraggeber:innen festgestellt haben, dass RSI eine valide Option darstellt. Es wird daher Aufgabe der Konferenzdolmetscher:innen sein, sicherzustellen, dass die dafür notwendigen Arbeitsbedingungen existieren. Ich denke auch, dass es in Zukunft mehr Hubs geben wird. Außerdem wird es meiner Meinung nach noch eine Weile dauern, bis KI in der Lage sein wird, Dolmetschleistungen von Konferenzdolmetscher:innen adäquat zu ersetzen oder auch nur zu komplementieren. Die technischen Fortschritte sind spannend, aber die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass die Entwicklung neuer Technologien immer noch eine gewisse menschliche Zuarbeit benötigt, wie wir es ja auch bei maschinellen Übersetzungen sehen können. Wie jede andere Berufsgruppe auch, müssen auch Konferenzdolmetscher:innen mit der Zeit gehen und Möglichkeiten finden, mit neuen Technologien zu arbeiten. Ich bin optimistisch, dass das gelingen wird.


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